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Kapitel 4. Der Bauernritter Daso de Ennigge

ie in Wagrien lebenden slawischen Obotriten hatten in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gegenüber den Holsten die Oberhand gewonnen. Sie durchstreiften vielfach das Land und raubten und plünderten. Erst ab dem Jahr 1111 trat langsam eine Änderung ein. Herzog Lothar von Sachsen, der spätere Kaiser, kümmerte sich um die Region und schickte beispielsweise den Grafen Adolf I. (1111-1130) von Schauenburg ins Land, um die Landesherrschaft zu stabilisieren. Der neue Graf übte jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1130 kaum Macht aus. Von seinem Sitz in Hamburg aus bemühte er sich um ein gutes Verhältnis zu den benachbarten Slawen und hielt sich in Holstein und Stormarn weitgehend zurück. Die dort ansässige einheimische Führungsschicht hätte sich wohl auch nicht so einfach ihre Unabhängigkeit nehmen lassen.(1)

 In jener Zeit lebte ein bis heute bekannter holsteinischer Bauernritter in dem westlich von Neumünster gelegenen Dorf Innien. Sein Name war Daso aus Innien (Daso de Ennigge). Über ihn wissen wir aus der Vision des Bauern Gottschalk, dass von ihm die Sippe der Dasoniden ihren Familiennamen angenommen hat. Im Laufe seines Lebens brachte er vier namentlich bekannte Söhne hervor: Vergot, Sohn des Daso aus Innien (Vergot filius Dasonis de Ennigge), der Bode Daso (Daso rector), Daso der lange (Daso altus) und Gottschalk Daso (Godeschalcus Daso), Grundherr im Kirchspiel Nortorf, vermutlich der jüngste Sohn und wie damals üblich somit der Erbe des Grundeigentums von Daso de Ennigge.(2)

Turmhügelburg Der Wohnsitz der Dasoniden aus Ennigge kann nicht ganz eindeutig lokalisiert werden. Georg Reimer vermutet ihn in seinem Buch Die Geschichte des Aukrugs" an der Bünzener Au in Innien und zwar in der südöstlichsten Ecke von Glöys Sören am Wanderweg nach Böken. Die Ecke bildet einen kleinen Hügel, der allem Anschein nach durch eine künstliche Vertiefung von der Koppel abgeschnitten wird. Bünzau und Burbek waren früher viel wasserreicher als heute, sodass der Hügel ganz von Wasser umgeben gewesen sein mag. Die Annahme, dass hier der Burgplatz zu suchen sei, wird dadurch bestätigt, dass der Burbek noch 1759 als Borgbek bezeichnet wurde.(3)

 Vor dem Hintergrund der neusten archäologischen Erkenntnisse kann heute Folgendes formuliert werden: Zwischen Innien und Bünzen erhebt sich neben dem Sportplatz ein mit einem Graben umgebener kleiner Hügel. Am Wegesrand steht ein Schild des Landesamtes für Vor- und Frühgeschichte von Schleswig-Holstein, auf dem zu lesen ist:

-Turmhügelburg Bori-, Frühmittelalterliche ovale Burg (ca. 30m x 65m) mit teilweise noch breitem Graben umgeben.
Die Anlage gehört zu den sogenannten Motten, die ab dem 12 Jh. verstärkt angelegt wurden. Diese kleinen Befestigungen bestanden aus einem Turmbau, der von einem Graben umschlossen wurde.
Die Bünzener Burg lässt sich vielleicht mit dem Geschlecht der Dasoniden in Zusammenhang bringen.
Von der Bünzener Au und dem Kapellenbach geschützt lag eine weitere Burg 600 Meter südöstlich sowie eine dritte große Burg 100 Meter westlich, die 1984 bei Ausgrabungen entdeckt wurden. Hierbei konnten zwei Gräben mit versetzten Toren, ein vorgelagerter kleiner Graben sowie Torhaus und Feuerstellen freigelegt werden."

 Ob der im Frühmittelalter errichtete ovale Hügelbau noch von dem im Hochmittelalter lebenden Daso de Ennigge bewohnt wurde, bleibt fraglich. Die Archäologen sollen sich allerdings auch nicht ganz sicher über das Alter des Boris sein.

 Die gegenüber der Turmhügelburg gefundenen Überreste einer sehr viel größeren und älteren Burg kommen aus zeitlichen Gründen als hochmittelalterlicher Wohnsitz der Dasoniden jedenfalls nicht in Frage. Diese Anlage ist jedoch für Schleswig-Holstein eine archäologische Sensation. Die hölzerne Burg stand im 1. Jahrhundert n. Chr. an der Stelle des heutigen Sportplatzes zwischen Bünzen und Innien und wurde wahrscheinlich bis 500 n. Chr. genutzt.

Saalburg Die Funde weisen auf Römer beziehungsweise auf Handelsbeziehungen zu ihnen hin. Was sich hier abgespielt hat, ist unbekannt und Tacitus gibt uns leider auch keine weiteren Hinweise. Da eine römische Ansiedlung in Schleswig-Holstein als nicht glaubwürdig erscheint, kann spekuliert werden, dass hier einst ein germanischer Heerführer seinen Wohnsitz hatte. Damals zog es viele junge Männer in den Süden, denn die Grenze des mächtigen Römischen Reiches lag nur zehn Tagesreisen entfernt. Gehandelt wurde mit Glas, Metall, Silber, Gold und Tuchwaren. Vielleicht sind von der Bünzener Au aus auch sächsische Stammesverbände nach Britannien ausgewandert, als die Römer die Insel aufgegeben hatten. Einen Hafen in Bünzen mit einem Zugang zur Nordsee gab es jedenfalls.(4)

 Ein weiterer möglicher Wohnsitz der Dasoniden könnte auch eine Burg an der Brücke über die Bünzener Au gewesen sein, die den strategisch wichtigen Weg von Dithmarschen nach Neumünster kontrollierte.(5)

die Brücke heute In der Nähe dieser Brücke wurden sogar die Überreste eines Schwertes gefunden. Dieses ist jedoch vermutlich erst am 17. Juli 1317 bei der Schlacht bei Bünzen verloren gegangen. Die Holsten haben an jenem Tag die von einem Raubzug zurückkehrenden Dithmarscher abgefangen.(6)

 In vielen anderen Dörfern gab es weitere Wehrsitze. Sie umfassten meistens einen Bauernhof, mit rund drei bis vier alten Hufen (37,8 bis 50,4 Hektar). Die Betreiber mussten Rossdienst leisten, das heißt, beritten zum Kriegsdienst erscheinen.(7) Die sehr aufwendige und kostspielige Kriegsausrüstung konnte jedoch nicht alleine durch die Landwirtschaft finanziert werden.(8) Deshalb waren die Bauernritter bei Konflikten dringend auf Beute angewiesen. Diese wurde dann teilweise wieder verschenkt, um soziale Bindungen zu vertiefen und sich Gefolgsleute zu sichern. In den Dörfern genoss die Bevölkerung den Schutz der Wehranlagen. Dafür halfen die Dorfbewohner bei Instandhaltungsarbeiten der Wehrsitze und lieferten etwas Getreide, damit sich die Burgen im Falle der Not etwas halten konnten.(9)

 Als 1127 der in Alt-Lübeck residierende Slawenkönig Heinrich (Henrici), dessen nakonidisches Fürstengeschlecht sich über elf Generationen bis in das Jahr 789 zurückverfolgen lässt, plötzlich verstorben war, kam es zum Streit zwischen seinen Söhnen Kanut und Zventepolch über die Thronfolge.(10) Helmold berichtet in seiner Slawenchronik über die Ereignisse in den Jahren 1127 bis 1129 und wie Daso de Ennigge in die Geschehnisse eingriff:

Die Söhne Heinrichs nämlich erregten innere Kriege und verursachten den nordelbischen Völkern wiederum Mühe und Not. Zventepolch, der Ältere, fügte, da er allein herrschen wollte, seinem Bruder Kanut viel Unrecht zu und belagerte ihn zuletzt mit Hilfe der Holzaten (Holsten) in der Burg zu Plön. Kanut aber wehrte seinen Gefährten, dass sie nicht nach den Belagerern mit den Wurfspießen schossen, bestieg die Zinne der Mauer und sprach zu dem versammelten Heer:

>Hört, ich bitte euch, mein Wort, ihr trefflichen Männer von Holzatia. Aus welchem Grund erhebt ihr euch doch gegen mich, eurem Freund? Bin ich nicht Zventepolchs Bruder, von demselben Vater wie er gezeugt, Heinrichs Sohn so gut wie er und von Rechts wegen Miterbe des väterlichen Reiches? Warum sucht mich also mein Bruder meiner väterlichen Erbschaft zu berauben? Lasst euch doch nicht ohne Grund gegen mich aufreizen, sondern lenkt wieder ein in den Pfad der Gerechtigkeit und bewegt meinen Bruder dazu, dass er mir den mir gebührenden Anteil herausgibt.<

 Durch diese Worte wurden die Belagerer milder gestimmt und beschlossen, dem Mann seine gerechte Forderung zu erfüllen. Sie bewirkten durch ihre Vermittlung die Versöhnung der entzweiten Brüder und teilten das Land unter ihnen auf. Doch nicht lange danach wurde Kanut zu Lütjenburg erschlagen und Zventepolch bemächtigte sich allein der Regierung. Er rief nun den Grafen Adolf (I.) mit den Holzaten und Sturmarn zu Hilfe und unternahm mit ihnen einen Feldzug in das Land der Obotrieten (Mecklenburg) und belagerte eine Burg namens Werlo (Wyck zwischen Schwaan und Bützow). Nachdem er sich derselben bemächtigt hatte, zog er weiter vorwärts und erschien vor der Burg der Kycinen (Kessin bei Rostock) und belagerte sie fünf Wochen lang. Als er endlich auch diese erobert und Geiseln empfangen hatte, kehrte er nach Lubeke (Lübeck), die Nordelbinger aber in ihre Heimat zurück. Da nun der Priester Vicelin sah, dass sich der Fürst der Slawen gegen die Christen ganz freundlich benahm, so begab er sich zu ihm und erneuerte bei ihm sein dem Vater vorgetragenes Gesuch. Er erlangte auch die Gunst des Fürsten und sandte nach der Stadt Lubeke die ehrwürdigen Priester ... .

Überreste der 1168 zerstörten Jaromarsburg auf Rügen Es währte aber nicht lange, so zerstörten die (slawischen) Rugianer (Ranen aus Rügen), als sie die Stadt (Lübeck) von Schiffen entblößt fanden, den Flecken samt der Burg. Während die Barbaren in die eine Tür der Kirche hereinbrachen, entflohen die berühmten Priester aber durch die andere, fanden zunächst in dem nahen Wald Schutz und dann eine sichere Zufluchtsstätte in Faldera (Region Neumünster). Zventepolch wurde bald danach durch die Hinterlist eines gewissen Daso (de Ennigge(11)), eines sehr reichen Holzaten, ermordet (beziehungsweise getötet(12) - Zuentepolch non longe post interfectus est dolo cuiusdam Dasonis predivitis de Holzatia(13)). Noch war ein Sohn Zventepolchs, Zvinike, vorhanden, aber auch dieser wurde (1129) zu Artlenburg getötet, einer Burg jenseits der Elbe. So erlosch Heinrichs Geschlecht und verlor die Herrschaft über die Slawen mit dem Tode seiner Söhne und Enkel. Er selbst aber hatte, ich weiß nicht durch welche himmlischen Zeichen belehrt, schon vorausgesagt - sein Geschlecht werde bald vergehen."(14)

 Warum ein Angehöriger der Sippe der Dasoniden an der Tötung des slawischen Fürsten verstrickt war und ob es sich um mehr als persönliche Rache handelte, wissen wir nicht. W. H. Fritze formulierte folgenden Verdacht: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als seien (Kaiser) Lothar und Knut (Laward) an dem merkwürdig raschen Erlöschen der stirps Heinrici nicht gänzlich unbeteiligt gewesen."(15)

 Denn Knut Laward, Sohn des Dänischen Königs und Statthalter in Schleswig, erkaufte sich für viel Geld 1129 vom Deutschen Kaiser Lothar das Königtum über die slawischen Wagrier.(16) Letztlich aber hat sich Knut Laward mit Waffengewalt und mit Unterstützung der Holsten die Herrschaft über die obotritischen Slawenstämme erkämpft. Der Jarl von jenseits der Eider und die obotritische Reaktion waren beschäftigt. Außerdem entbrannte später ein blutiger Konflikt in der dänischen Königsfamilie um die Thronfolge. Er wurde durch den rasanten Aufstieg von Knut Laward ausgelöst.

 Helmold schildert die weiteren Ereignisse wie folgt:
1138 entbrannten, wie in Dänemark, so auch in Sachsen mancherlei Kriegsstürme ... . Vor allem aber beunruhigte das Wüten der Slawen, die wie mit losgelassenen Zügeln in das Land der Holzaten hervorbrachen, ... so dass der Bezirk Faldera beinahe zur Einöde wurde wegen der tagtäglich vorfallenden Ermordungen der Menschen und Plünderungen der Dörfer. Unter diesen Qualen und Bedrängnissen ermahnte der Priester Vicelin das Volk, auf Gott zu vertrauen und mit Fasten und Zerknirschung des Herzens Litaneien zu singen, weil Tage des Leidens bevorständen. Heinrich (von Badewide) aber (Nachfolger von dem 1139 verstorbenen Heinrich den Stolzen), der die Grafschaft verwaltete (weil Heinrich der Löwe erst 10 Jahre alt war) zog heimlich ein Heer von Holzaten und Sturmarn zusammen und rückte zur Winterszeit ins Slawenland ein, ... plündernd und sengend; nur die Burgen, die durch Wall und Riegel geschützt mehr Anstrengung erheischten, blieben verschont. Im Nachfolgenden Sommer (1139) zogen die Holzaten, indem sie sich untereinander anfeuerten, sogar ohne den Grafen vor die Burg Plön und eroberten wieder Verhoffen mit Gottes Hilfe diesen Ort, der fester war als die Übrigen; ... . So benutzten die Holzaten jenen Krieg der überelbischen Sachsen als eine günstige Gelegenheit, weil sie dadurch die Freiheit gewonnen hatten ... ."(17)

 Nachdem die Slawen in Wagrien durch die fürchterliche Wucht insbesondere des zweiten Feldzuges vernichtend geschlagen worden waren, wurde der Sohn von Adolf I., Adolf II. (1130-1164), zunächst mit Wagrien belehnt. Er ging zu einer wesentlich aktiveren Landespolitik als sein Vater über und begann das südlich der Elbe ausgebildete Lehenssystem auch im Norden einzuführen. Zudem betrieb er eine Eindeutschung Wagriens, zog neben nordelbischen Siedlern andere wie Holländer, Friesen und Westfalen ins Land, vergab Grundbesitz an adelige Herrenritter und schuf hierdurch die Grundlage für die Entstehung einer holsteinischen Feudalschicht.

 Den Bauernrittern missfiel diese Machtsteigerung von Adolf II., da nicht er, sondern sie selbst unter der Führung des Overboden, Marcrad I, den entscheidenden Schlag gegen Wagrien geführt hatten. Sie fühlten sich nach den kostspieligen Feldzügen um ihre Beute betrogen und es entwickelte sich zunehmender Widerstand gegen Adolf II, der noch in einem Aufstand münden sollte.

  1. Vgl. Irmtraut Engling, Das Neumünster-Buch, Neumünster, 1985, S. 32
  2. Vgl. Erwin Assmann, Godeschalcus und Visio Godeschalci, Neumünster, 1979, S. 77 - 79, 201 - 202 u. Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster, 1981, S. 55 ff.
  3. Vgl. George Reimer, Die Geschichte des Aukrugs, Rendsburg, 1959, S. 26
  4. Vgl. Heinrich Asmus, Die Geschichte des Aukrugs, Aukrug, 1995, S. 209 - 214
  5. Vgl. Lotte Boigs, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Neumünster, 1968, Bd. 91, S. 48
  6. Vgl. Heinrich Asmus, Die Geschichte des Aukrugs, Aukrug, 1995, S. 215
  7. Vgl. Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster, 1981, S. 22 u. 31
  8. Vgl. E. Hoffmann, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Neumünster, 1975, Bd. 100, S. 43
  9. Vgl. George Reimer, Die Geschichte des Aukrugs, Rendsburg, 1959, S. 26 - 27
  10. Vgl. Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster, 1981, S. 124
  11. Vgl. Erwin Assmann, Godeschalcus und Visio Godeschalci, Neumünster, 1979, S. 201
  12. Vgl. auch die Übersetzung von Heinz Stoob, Slawenchronik, Darmstadt, 1983, S. 187
  13. Vgl. Bernhard Schmeidler, Helmolds Slavenchronik, Hannover, 1937, Nr. I 48, S. 95
  14. Alexander Heine, Helmold, Chronik der Slaven, Essen, 1990, Nr. I 48, S. 151 - 152
  15. Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster, 1981, S. 237 und vgl. auch: W. H. Fritze, Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihre Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat, S. 200, 183 Anm. 339
  16. Vgl. Alexander Heine, Helmold, Chronik der Slaven, Essen, 1990, Nr. I 49, S. 152 - 154
  17. Alexander Heine, Helmold, Chronik der Slaven, Essen, 1990, Nr. I 56, S. 168 - 170