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Kapitel
5. Vergot Daso auf der Verhandlung in Heinkenborstel
ine
historische Momentaufnahme aus dem Hochmittelalter bietet eine Urkunde
von Heinrich dem Löwen für das Stift Neumünster vom
13. September 1148, in der unter anderem Vergot, wahrscheinlich
der älteste Sohn des Daso de Ennigge, mit seinen Brüdern
als Zeuge erwähnt wird. Die
Urkunde berichtet über eine Strafaktion von Heinrich dem Löwen
gegen die Dithmarscher, die wegen einer vier Jahre zurückliegenden
Ermordung des Grafen Rudolf von Stade durchgeführt wurde. In
Wirklichkeit aber wollte sich der 19-jährige Heinrich das Land
an der Nordsee unterwerfen.(1)
In
Dithmarschen selbst erhielt die Überlieferung von der Strafmaßnahme
sagenhafte Züge. In Karsten Schröders Dithmarscher Chronik
heißt es:
... hebben dat lanth vorbrant van baven wente
tho nedden vth, beide kerken vnd kluse vnd slogen doth, war se vorgevunden."(2)
Für die Untaten machten die Dithmarscher den Grafen
Adolf II. verantwortlich, der an dem Feldzug teilgenommen hatte.
Gegenüber dem Schauenburger Grafen entwickelte die dort ansässige
Bevölkerung eine noch wesentlich stärker ausgeprägte
Abwehrhaltung als bei den Holsten.
Nach
dieser sogenannten Strafexpedition, im Sommer 1148, sollen Graf
Adolf II. und alle Holsten der Kirche von Neumünster Bruchländer
an der Wilster und Stör übertragen haben. Verhandelt wurde
die Sache vor dem ganzen Heer, nachdem es siegreich zurückgekehrt
war. Die Dasoniden müssen an dieser Veranstaltung teilgenommen
haben, da sie in der Zeugenliste der Urkunde erwähnt werden.
Die
Neumünsteraner Urkunde von 1148 ist jedoch eine Fälschung.
Es wird aber davon ausgegangen, dass während der Fälschungsniederschrift
eine Originalurkunde vorlag. Die Neufassung soll jedoch in wesentlichen
Punkten abgeändert worden sein.
In
den Jahren nach 1180(3), als Heinrich der
Löwe bereits weitgehend entmachtet war, unternahm nämlich
der Gemeindepfarrer und Probst von Neumünster, Sido, ein Nachfolger
von Vicelin und Probst von 1177 bis 1204,(4) den
Versuch, zwei Besitzkomplexe zusammenzulegen. Unter anderem verfälschte
er die Urkunde von Heinrich dem Löwen, indem er Ländereien
an der Wilsterau und Stör zum Eigentum des Stifts Neumünster
erklärte. Die Urkundenfälschung und die verfälschte
Eigentumsgeschichte in einem Sidobrief An Abt Hugo von Hildesheim
sowie ein Einschub im Neumünsterraner Güterverzeichnis
dienten unter anderem dazu, sich der sechs Höfe der Overbodenfamilie
zu bemächtigen.(5)
Von
einer echten Urkunde, so wird vermutet, hat Sido nur das Protokoll,
das Eschatokoll und die Zeugenliste übernommen. Die Namensliste
der führenden Personen bei der Aktion in Dithmarschen bietet
aber tiefe Einblicke in das altsächsische Bodesystem und die
holsteinischen Hierarchieebenen im Jahr 1148.
In
der Urkunde wird als erster Holste der Overbode Marcrad I., Overbode
von 1127 bis 1170, mit seinen Söhnen als Zeuge genannt. Er
war als oberster Richter, Anführer der Boden und Führer
des Heeresaufgebotes besonders für den Raum um Neumünster
zuständig. Seiner Familie gehörte über viele Generationen
sechs Höfe bei dem an der Stör gelegenen Dorf Arpsdorf,
südöstlich von Innien.
Gleich
nach dem Overboden wird in der Liste der zwölf Richter Vergot,
Sohn des Daso de Ennigge mit seinen Brüdern, erwähnt (Vergot
filius Dasonis de Ennigge cum fratribus suis). Die Zwölferzahl
erscheint sehr urtümlich und erinnert an vorfränkische
Zeiten, als jährlich Stammesversammlungen abgehalten wurden.
Aufgrund der Reihenfolge der genannten Personen in der Zeugenliste
können wir auf eine sehr angesehene Stellung der Dasoniden
in Holstein schließen.(6)
Die
gefälschte Urkunde von Heinrich dem Löwen liegt aus dem
lateinischen übersetzt vor und formuliert Folgendes:
Im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Heinrich,
Herzog von Bayern und Sachsen.
Wir
haben mit Recht eingesehen, dass wir deshalb durch Gottes Gnade
auf den Gipfel der Macht geführt worden sind, um besser und
klarer entscheiden zu können, wohin wir die Hand unserer Hilfe
ausstrecken und welchen Leuten wir die Fürsorge unseres Rates
Gottes wegen dringend zuwenden müssen.
Aber
obwohl wir allen Menschen gegenüber Schuldner sind, müssen
wir doch, so haben wir gerechterweise erwogen, vor allem die Jünger
Christi, die der Welt und ihren Eitelkeiten entsagt und sich unter
den Schatten der Schwingen göttlichen Schutzes gegeben haben,
bewahren und ihnen in notwendigen Angelegenheiten zu Hilfe kommen.
Wir
wünschen daher den zukünftigen wie den Gegenwärtigen
bekannt zu machen, dass wir für gut befunden haben, die frommen
Gelübde unserer Eltern ins Gedächtnis zurückzurufen,
wie auch beschlossen haben, ihre Zuwendungen, wodurch sie die Ehre
Gottes zu mehren trachteten, zu bestätigen.
So
sehen und wissen wir, dass im Bezirk Holstein in einem Dorf, welches
von den Alten Wippenthorp genannt wurde, vom hochwürdigen hamburgischen
Erzbischof Adalbero, dank des Eifers und der Mühe des verehrungswürdigen
Vaters Vicelin, das Neue Kloster (Neumünster)
gegründet worden ist und Diener Gottes dort vereinigt worden
sind; wir haben aus einem glaubwürdigen Bericht erfahren, dass
mein Vater, der Herzog Heinrich und mein Großvater, der Kaiser
Lothar, diesen Ort durch Schenkung gefördert, mit Gaben geehrt
und die derselben Kirche verliehenen Güter durch ihre Privilegien
bestätigt haben. Daher sind wir der Meinung, die wir es freudig
sehen, wie der dort angelegte Weinberg Gottes reiche Frucht trägt
und in seinem Dufte viele ungebärdige Menschen jenes Stammes,
die Gott suchen, von ihren früheren Ruchlosigkeiten gebessert
und die benachbarten Stämme der Slawen vom Unglauben schon
zum Glauben bekehrt worden sind, dass derselbe Ort mit geziemenden
Rechten auszustatten sei und wir beschließen, dass diejenigen,
die gelobt haben, dort Gott zu dienen, durch unser Wohlwollen begünstigt
und durch unsere Mildtätigkeit ermutigt werden sollen.
Daher billigen wir es, dass das Bruchland an der Wilsterau zwischen
dem Sladensee und der Burgerau und der andere Bruch, der an der
Stör zwischen der Hörnerau-Bleckenau und Schmiederau liegt,
vom Grafen Adolf und allen Holsten dieser Kirche übertragen
worden ist und entscheiden aus unserer Vollmacht, dass sie für
alle Zeiten den Brüdern des genannten neuen Klosters zur Nutzung
zu überlassen sind.
Und
damit diese Übertragung gültig und unanfechtbar für
alle Zeiten bleibe, haben wir diese Urkunde schreiben und mit der
Ausfertigung unseres Siegels kennzeichnen lassen und befohlen, die
Namen derjenigen, die anwesend waren, hinzuzuschreiben. Zeugen,
Beförderer und Mitwirkende dieser Angelegenheit sind: Adalbero,
hamburgischer Erzbischof, Hartwich, Dompropst der bremischen Kirche,
Vicelin, Probst des vorgenannten Neuen Klosters, Markgraf Adalbert,
Graf Adolf, Graf Heinrich von Bodewide, Graf Christian von Oldenburg
mit vielen anderen Fürsten, Edlen und Ministerterialen; aus
der Zahl der Holsten sind es diese: Overbode des Bezirkes, Marcrad
mit seinen Söhnen, Vergot, der Sohn Dasos von Innien mit seinen
Brüdern, Wlward von Rensing, Wiebern von Wacken, Imico mit
seinem Sohn Reimar und seinen Brüdern, Etheler von Drage, Gottschalk
von Jahrsdorf, Hasso, der Sohn des Vogtes Heinrich von Ottenbüttel,
Thiedbern von Hodorf, Heinrich, Vogt von Barmstedt, Marcrad von
Bilsen mit seinen Söhnen, Elwerich und Hiddo von der Eider;
dies sind die Richter des Bezirkes. Other, der Overbode der Stormarner;
dazu vier, die als Boden des Bezirkes benannt sind: Marcrad von
Steenfeld, Toto von Kellinghusen, Rothmar von Hennstedt, Alward
von Eiderstede und noch viele andere.
Verhandelt
worden ist diese Angelegenheit in Heinkenborstel (nördlich
von Innien) vor der Versammlung des ganzen Aufgebots, das
bei uns war, als wir zurückkehrten nach errungenem Sieg über
die dithmarsischen Feinde des Reiches, die vorher den fürstlichen
Markgrafen Rudolf, Ihren Grafen, erschlagen hatten. Diese Übertragung
ist bestätigt worden durch das Einverständnis und den
Zuruf des ganzen Heeres, das dort im Feldlager versammelt war, im
Jahre der Fleischwerdung des Wortes 1148, in der 12. Indikation,
gegeben am 13. September."(7)
Im
darauf folgenden Jahr wurde der Widerstand gegenüber Adolf
II. und der Einführung eines feudalen Lehenssystems nicht mehr
nur von den Dithmarschern getragen. Der entscheidende Teil der Führungsschicht
in Holstein und Stormarn schloss sich 1149 einem Aufstand Ethelers
an, gegen den sich u.a. das Unternehmen von Heinrich dem Löwen
1148 gewandt hatte. Die Kräfte von Adolf II. reichten nicht
aus, der mit dänischem Geld finanzierten Rebellion zu begegnen.(8)
Der Herzog Heinrich der Löwe musste sich natürlich für
seinen Grafen verwenden. Er drohte den Aufständischen und befahl
ihnen die Rebellion zu beenden oder das Land zu verlassen. Viel
ist über diese Periode nicht bekannt, doch es scheint so, als
ob dies zur Unterdrückung des Aufstandes ausgereicht hat. Heinrich
der Löwe war für die Rebellen offensichtlich zu mächtig,
um gegen ihn Widerstand leisten zu können. Heinrich wählte
häufig regionale Anführer und Bürger als Gefolgsmänner
und Verbündete, weil diese ihm nicht gefährlich werden
konnten. So wurden alle Holsten und Stormarner gezwungen, mit Schwur
die Gewalt des Herzogs und seines Grafen anzuerkennen. Die Anführer
erhielten ein Pardon, doch einige gingen außer Landes. Bei
dem Versuch Ethelers, 1149 mit gepanzerten Reitern über die
Eider nach Holstein einzudringen, kam es dann zum Kampf bei Schülp,
wobei Etheler Schlacht und Leben verlor.(9)
Der Aufstieg der Grafengewalt war jetzt nicht mehr aufzuhalten und
die alte Ordnung ging weitgehend unter. Die Spannungen waren damit
jedoch noch nicht beseitigt.(10)
- Vgl.
Helmut Hiller, Heinrich der Löwe, München, 1978, S.
34
- Walther
Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved,
Neumünster, 1981, S. 359
- Vgl.
Heinz Ramm, Landschaft, Großkirch und Burgvogtei, Diss.,
Hamburg, 1952, S. 119
- Vgl.
Hans Braunschweig, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische
Geschichte, Neumünster, 2003, Bd. 128, S. 41
- Vgl.
Wolfgang Prehn, Gesellschaft, Wirtschaft und Verfassung in Altholstein,
Diss. Hamburg, 1958, S. 147, vgl. Heinz Ramm, Landschaft, Großkirch
und Burgvogtei, Diss., Hamburg, 1952, S. 119, vgl. Walther Lammers,
Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster,
1981, S. 58 und vgl. Enno Bünz, in: Zeitschrift der Gesellschaft
für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Neumünster,
1994, Bd. 119, S. 32-51
- Vgl.
Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved,
Neumünster, 1981, S. 7, 44 ff , 58 - 61, 77, 329
- Walther
Lammers, Das Hochmittelalter
bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster, 1981, S.
55 ff.
- Vgl.
E. Hoffmann, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische
Geschichte, Neumünster, 1975, Bd. 100, S. 45
- Vgl.
E. Hoffmann, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische
Geschichte, Neumünster, Bd. 100, 1975, S. 60
- Vgl.
Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved,
Neumünster, 1981, S. 326 - 329
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